Rund 250 Assyrer haben sich in dem Gemeindesaal der St. Maria Kirche in Gütersloh versammelt. Kamera- und Lichtaufbauten, eine gespannte Menschenmenge angesichts der Gäste dieses Tages. Sabri Atman vom Seyfo-Center in Schweden, der kurdische Menschenrechtsaktivist und Schriftsteller Berzan Boti, und Frau Ingrid Seigis, die Geschäftsführerin der Menschenrechtsorganisation Christian Solidarity International (CSI) Deutschland.
Wie viele Menschen durch den Genozid ihr Leben lassen mussten und wie viel Leid den Assyrern, Armeniern und Griechen zugefügt worden war, und auch bis heute noch wird, schildert Sabri Atman in bewegenden Worten in seinem Vortrag. Welche Spuren der Genozid hinterlassen hat ist kaum zu beschreiben. Mehr als 2,5 Millionen Christen fielen damals den grausamen Verbrechen zum Opfer, heute sind es nur noch 4 Millionen Assyrer, die weltweit verstreut leben. Und wenn von den Massakern an ihnen gesprochen wird, so werden die die Armenier, nicht aber das Assyrische Volk genannt, weder in Geschichtsbüchern noch sonst wo. Stattdessen soll dieses Thema jetzt sogar in den Schulen ausgegrenzt werden, ganz im Sinne der Mörder von damals. Ebenso, wie auch jetzt eine Sanierung des Lepsius-Hauses in Potsdam, ein Mahnmal für den Genozid am armenischen und assyrischen Volk, einem türkischen Protest unterliegt. Sabri Atman spricht mit leidenschaftlicher Stimme und unterstreicht seine Rede mit Gesten, die seine Erregung über das Thema des Genozid ausdrücken. Er bekräftigt aber auch, dass das assyrische Volk all diese Grausamkeiten und Demütigungen nicht mehr hinnehmen wird und aufsteht. Dass es in der Türkei aber auch noch Menschen mit Gewissen gibt, macht er ebenfalls deutlich.
Denn angefangen mit der Sühne an den Assyrern hat Berzan Boti, ein Kurde mit Prinzipien, der seinen Schuldgefühlen gegenüber den Christen offen Rechnung trägt. Bereits am 13. Mai 2009 übereignete er im Schwedischen Reichstag allen Grundbesitz an das Seyfo-Center, stellvertretend an den Vorsitzenden Sabri Atman. Boti, ein hagerer Mann mit grauem Haar, ruhig und zurückhaltend, mit gutmütigen Augen, der ans Rednerpult tritt. Mit leiser Stimme erzählt er seine Geschichte, schildert seinen Werdegang als intellektueller Menschenrechtsaktivist und wie er wegen seiner Überzeugung 11 Jahre seines Lebens in einem türkischen Gefängnis verbrachte. Seine Haltung verrät, wie er diese Augenblicke noch einmal durchlebt. Den Moment, der ihm die Gewissheit gab, die Schuld seiner Vorfahren nur dadurch zu sühnen, indem er das blutgetränkte Diebesgut, den geerbten Grundbesitz, an diejenigen zurückgibt, die auf grausame Weise bestohlen wurden – an die, die noch übrig geblieben sind von diesem einstmals großen Volk der Assyrer. Mit glänzenden Augen spricht er von seiner Familie, die ihn unterstützt hat in seinem Vorhaben, von den Reaktionen durch seine Umgebung, von Menschen, die ihn sogar mit dem Tod bedroht haben. Aber all das macht ihm nichts aus. Er steht zu seiner Entscheidung, lässt darüber keine Zweifel aufkommen.
Dann tritt die Geschäftsführerin Ingrid Seigis der CSI Deutschland gem. GmbH ans Rednerpult. Mit fester Stimme spricht sie von Schuld und Sühne im Sinne Gottes, entschuldigt im Namen des deutschen Volkes, das durch Zulassen von Massenmord zum Tätervolk geworden ist, nicht verhindert hat, dass Millionen unschuldiger Christen niedergemetzelt wurden. In einer packenden Rede bittet sie im Namen des Ururenkels des Kaisers Wilhelm II, Philip Kiril Prinz von Preußen, der selbst sechsfacher Vater und Theologe ist, für Deutschland um Vergebung. Sie zitiert das Email-Schreiben des Prinzen vom 26.08.2009, der bereits vor zehn Jahren ein Entschuldigungsschreiben an die Armenische Botschaft geschickt hat, das aber unbeantwortet geblieben ist. " Ich freue mich über Ihre Initiative. Es hat auch mich bereits vor etlichen Jahren bewegt und ich habe genau diesen Weg bereits beschritten, vor ca. 10 Jahren!", schreibt er. "Ich weiß nicht mehr, wer mir den Impuls dazu gab, aber ich schickte einen Brief mit Bitte um Vergebung an die armenische Botschaft und den Patriarchen. – leider erhielt ich keine Antwort." so der Prinz. Es herrscht andächtiges Schweigen im Saal angesichts dieser Rede, die das aussagt, was viele längst dachten – Vergebung bedarf einer Entschuldigung, die offen ausgesprochen wird. Frau Seigis bittet Sabri Atman und den Vertreter der Gemeinde, Pfarrer Abraham Gök nach vorne. Sie überreicht zum Zeichen der Versöhnung Holzkreuze, die von sudanesischen Christen mit eigenen Händen gefertigt wurden. Ein historischer Augenblick im Sinne einer nachhaltigen Völkerverständigung, ein Hoffnungsschimmer, dass etwas Derartiges niemals wieder passieren wird.
Ein von CSI gestelltes Kamerateam sowie eine deutsche Journalistin, ebenfalls für CSI, verfolgten diese bewegenden Momente, die in Kürze auch als Film öffentlich präsent sein werden.
Von Marianne Brückl