Völkermord ist kein Tabu! – Im Westen spricht man (unverschleiert) über den Genozid!

Veranstaltet wurde dieses Ereignis von der Assyrisch Demokratischen Organisation (ADO), der Armenischen Gemeinde München, der Armenischen Landsmannschaft in Bayern sowie des Vereins der Griechen aus Pontos in München. Zu den hochrangigen Gästen dieses Abends zählten der Landesbischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, Dr. Johannes Friedrich, der Historiker Prof. David Gaunt von der Uni Stockholm und Prof. Dr. jur Otto Luchterhandt von der Universität Hamburg. Als besonderer Gast war Dr. phil. Tessa Hofmann von der Freien Universität Berlin anwesend, um anlässlich dieser Veranstaltung für ihre langjährigen Verdienste in der Genozidforschung geehrt zu werden.

Assyrische, armenische, griechische und auch deutsche Christen strömten in das Kirchengebäude, um die Reden der für diesen Abend angekündigten Persönlichkeiten zum Thema „Völkermord – eine Frage der Interpretation?“, zu verfolgen. Nicht nur die Presseleute für die betroffenen Minderheiten waren vor Ort, sondern auch türkische Medienvertreter der Zeitungen Hürriyet, Milliyet und Zaman sowie Radio LORA, dem interkulturellen Radio in München. Zum Bedauern der Veranstalter glänzte die deutsche Presse wieder einmal mit Abwesenheit.
Vor gut besetzten Reihen eröffnete Dr. Thomas Aktas von der Assyrisch Demokratischen Organisation e.V., Sektion Mitteleuropa, die Gedenkveranstaltung zu einem Thema, das die Menschen erschüttert: dem noch immer von türkischer Seite geleugneten Genozid an den Armeniern, Assyrern (genannt auch Syrer, Aramäer, Chaldäer) und Pontosgriechen im Jahre 1915. Rund 3,5 Millionen Christen waren damals auf barbarische Weise niedergemetzelt worden, Frauen und Kinder brutal vergewaltigt. In einer Schweigeminute gedachten deshalb auch alle Gäste der Opfer dieser Gräueltaten. Dass der Völkermord an den Christen nie in Vergessenheit geraten darf, das zeigten die Ansprachen der Redner, die diese sensible Thematik sowohl aus kirchlicher, historischer, juristischer sowie menschenrechtlicher Sicht beleuchteten. Untermalt wurde die Gedenkveranstaltung durch Lieder des armenischen Komitas-Chores sowie des Philharmonia-Chores des griechisch-deutschen Musikvereins München.

Mitschuld bekennen

In seiner Ansprache legte der erste Redner, der ev.-luth. Landesbischof Dr. Friedrich den Fokus auf die Notwendigkeit, den Christen im Tur Abdin und im Irak solidarisch zur Seite zu stehen, um das Überleben des Christentums dort zu unterstützen. Friedrich betonte, dass viele Menschen in Deutschland zu wenig über die dunkle Vergangenheit und die oft bedrückende Gegenwart der Glaubensgeschwister in diesen Regionen wüssten.

„… Die freundschaftlichen Kontakte zu Kirchen und Gemeinden im Tur Abdin und im Irak haben uns dann immer deutlicher gemacht, wie sehr das Christentum in der Region Hilfe braucht, um zu überleben Und noch mehr: Wie sehr das Überleben der christlichen Gemeinschaften im Nahen Osten auch ein Indiz dafür ist, ob sich die betreffenden Staaten demokratisch und rechtsstaatlich entwickeln“, so der Landesbischof. Er forderte dabei die türkische Regierung zur Auseinandersetzung mit der Rolle des Osmanischen Reiches und der Türkei gegenüber dem armenischen Volk in Geschichte und Gegenwart auf und appellierte an den türkischen Staat, den heute in der Türkei lebenden christlichen Armeniern, Assyrern und Griechen ihre Rechte auf Religionsausübung, Grundbesitz und Kirchenbau nicht zu verwehren. "…An unsere eigene Regierung und unser eigenes Parlament aber richtet sich die Aufforderung, sich zur deutschen Mitschuld zu bekennen, den deutschen Anteil an den Ereignissen aufzuarbeiten und im eigenen politischen Handeln daraus Konsequenzen zu ziehen.“, so Friedrich weiter. Damit wandte er sich an all diejenigen, die auch von deutscher Seite bisher noch nicht um Vergebung für die Mitverantwortung des eigenen Volkes gebeten haben. So, wie es beispielsweise der Theologe und Ururenkel des letzten deutschen Kaisers, Philip Kiril Prinz von Preußen, bereits vor 10 Jahren bei den Armeniern getan hat und was auch durch die Menschenrechtsorganisation CSI-Deutschland (Christian Solidarity International) am 30. August diesen Jahres im Rahmen einer Veranstaltung des Seyfo-Centers Schweden in Gütersloh für alle Opfer des Genozids 1915 noch einmal stattfand: Die Bitte um Vergebung für diese Schreckenstaten, die man damals zugelassen hat.

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Als symbolischen Dank für seine ansprechende Rede überreichte Janet Abraham von der ADO dem Landesbischof unter Beifall eine Tafel mit dem Vaterunser in der Sprache Jesu, der Muttersprache der Assyrer.

Eingeständnis von Schuld kann auch vergeben werden

Bevor das Mikrofon an den schwedischen Prof. David Gaunt weitergereicht wurde, verlas Dr. Aktas die Grußbotschaften des evangelischen Landesbischofs in Württemberg, Dr. h.c. Frank Otfried July, für diesen Tag des gemeinsamen Gedenkens an den Völkermord von 1915 sowie des Vorsitzenden des Vereins der Völkermordgegner e.V. / Frankfurt a. Main, Ali Ertem.
"…Sie sind hier, weil Sie wissen, dass ein wirklicher Dialog dort anfängt, wo man dem Gesprächspartner etwas zumutet, und dass dies auch für den gegenwärtigen Dialog mit der Türkei gilt. Wir Deutsche haben einen eigenen schmerzhaften Prozess, Schuld einzugestehen und um Vergebung zu bitten, bearbeiten müssen. Sie belastet nicht nur die Opfer, deren Angehörige oder Nachkommen, die endlich einmal die Wahrheit hören wollen, öffentlich, um endlich mit dem Grauen der Vergangenheit Frieden machen und vergeben zu können." Mit diesem Brief an die Initiatoren und Gäste dieses Abends setzte Bischof July deutliche Zeichen für eine Versöhnung im Sinne eines unbelasteten Friedens zwischen den beteiligten Nationen.
Auch die Grußbotschaft von Ali Ertem an die Initiative "Mit einer Stimme sprechen" fand positive Resonanz.

"… Unser Verein unterstützt Ihre gerechte Forderung nach Anerkennung des Völkermordes an den christlichen Völkern, nämlich den Armeniern, Assyrern sowie den Griechen Kleinasiens, des Pontos und Ost-Thraziens unter der osmanischen bzw. türkischen Herrschaft von 1915 und der darauf folgenden Jahre.", zitierte Aktas aus dem langen Schreiben Ertems "…Wir haben nicht den geringsten Zweifel an den historischen Tatsachen, dass die autochthonen Bewohner mit geplanter und gezielter Vernichtung und Vertreibung aus ihrer Heimat entwurzelt wurden. Das kann niemals Gegenstand von Diskussionen sein, da diese Tatsachen mit Millionen von Opfern, hunderttausenden von Zeitzeugen und sogar durch die authentischen Aussagen der verantwortlichen Täter oftmals belegt wurden.", hieß es in dem Brief weiter. Ertem bestärkte darin die Christen in ihrem Recht, von den Verantwortlichen Anerkennung und Wiedergutmachung zu fordern, ebenso die Demaskierung und Bestrafung der türkischen "Helden" als Völkermordverbrecher. Im Sinne der Wiederherstellung eines wahren Friedens forderte er die betroffenen Völker auf, von der menschlichen Zivilisation die Wiederherstellung der Gerechtigkeit zu verlangen. Für die Nachfahren der Opfer des Genozids waren die brieflich bekennenden Worte Ali Ertems, den Völkermord zu substantiieren das Signal dafür, dass der Genozid im Westen kein Tabu bleiben muss und unverschleiert von einigen wenigen verantwortungsbewussten Nachfahren der Täter offen ausgesprochen wird.

Ethnische Säuberung ohne Widerstand

Prof. David Gaunt von der Universität Stockholm gründete seine Ansprache auf historische Aspekte, um die Tragweite der Massenvernichtungen an den Armeniern, Assyrern und Pontos-Griechen darzustellen. Dabei hob er auch die Systematik der Handlungen im Sinne der rechtlichen Definition des Genozids nach der UN-Konvention von 1948 hervor.

"…Das Ausmaß des Mordens und der ethnischen Säuberungen, die Teilnahme hoher Regierungsvertreter an Planung und Entscheidung, die Entscheidung, jeglichen Widerstand durch reguläre Armee-Einheiten zerstören zu lassen, all dies belegt die systematische Dimension der osmanischen antichristlichen Kampagne.", so Gaunt. Er schilderte, wie die Assyrer unmittelbar vor dem Krieg unter dem Vorwand „militärischer Notwendigkeit“ von der türkisch-iranischen Grenze deportiert wurden, indem man ihnen eine Verbindung zu den Russen vorwarf.

"…Als sie sich gegen die Verschleppung zu wehren begannen, eskalierte die Situation rasch zu einer ethnischen Säuberung, die von der Armee und lokal rekrutierten Stämmen verübt wurde. Hinterher wurde behauptet, es sei Bürgerkrieg gewesen, aber es zeigte sich, dass die Assyrer keinerlei politischen oder militärischen Vorbereitungen für einen derartigen Krieg getroffen hatten und nur in Ausnahmefällen wirksamen Widerstand leisten konnten. Welcher dennoch besiegt und ausgelöscht wurde.", so der Professor. Zur Schaffung eines ersten historischen Berichts der Kriegserfahrungen der Assyrer hätten ihm Materialien aus den türkischen türkischen Archiven gedient, führte Gaunt aus. "…Die Dokumente aus den verschiedensten Quellen ergänzen und bestätigen sich gegenseitig. Nur in sehr wenigen Dokumenten aus den türkischen Archiven ist von einem bedeutsamen Aufstand der Assyrer die Rede. Vielmehr belegen sie, dass die Obrigkeit panisch alle Christen mit fadenscheinigen oder ohne Beweise vernichtete." schloss er seine Ausführungen.

Völkermord als Straftatbestand

Im Nachgang zu seinem Vorredner Prof. Gaunt definierte Prof. Dr. Luchterhandt den Begriff des Völkermords vom juristischen Standpunkt aus.

"…Die heutige Veranstaltung steht unter zwei Sätzen, der erste Satz unter einem Fragezeichen, der zweite Teil unter einem Ausrufezeichen. Völkermord – eine Frage der Interpretation? Die Frage ist mit einem klaren Ja zu beantworten. Natürlich ist es auch eine Frage der Interpretation, ob gewisse Taten Völkermord sind bzw. waren, denn Völkermord ist ein Straftatbestand des nationalen und auch internationalen Rechts. Um festzustellen, ob die Anwendung von Gewalt gegen gewisse nationale Volksgruppen oder Minderheiten Völkermord ist oder war, muss man sich klar machen, was Völkermord eigentlich bedeutet.", so der Luchterhandt. "In dieser Konvention bedeutet Völkermord eine der folgenden Handlungen die in der Absicht begangen wird, eine nationale ethnische Rasse oder religiöse Gruppe entweder ganz oder teilweise zu zerstören.", zitierte der Rechtswissenschaftler den Artikel 2 der Völkermordkommission von 1948. Anhand von Beispielen wies er juristisch das Vorhandensein sämtlicher subjektiver und objektiver Tatbestandsmerkmale, die einen Völkermord qualifizieren, für den Genozid an den christlichen Völkern 1915 in der Türkei nach. Er bezog sich bei der Klärung der Beweisfrage dabei auch auf den internationalen Strafgerichtshof für das ehem. Jugoslawien, der 2001 im Rahmen des Völkermordes in Trzebnica, entschieden hatte, dass für eine Verurteilung auch der indirekte Beweis, d.h. der Nachweis von objektiven Tatbeständen ausreiche, die den Rückschluss auf die Zerstörungsabsicht der ethnischen Gruppe zulassen. Für Luchterhandt lässt die Komplexität der gegenüber den Armeniern angewandten Verfolgungs- und Vernichtungsmaßnahmen nur einen Schluss zu: die Ausrottung der Christen im Osmanischen Reich war angestrebt worden, um der Bildung eines nationalen Rates in Ostanatolien die personelle Grundlage zu entziehen.

Mehr als dreißig Jahre Menschenrechtsarbeit

In einer bewegenden Laudatio würdigte Anastasia Dick vom pontosgriechischen Verein das über 30 Jahre währende Engagement von Frau Dr. phil. Tessa Hofmann, der wissenschaftlichen Dokumentarin für Integrations- und Minderheitenforschung am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin, die an diesem Tag für ihre Verdienste in der Menschenrechtsarbeit geehrt wurde.

"… Durch internationale Anerkennung dieses Ursprungsverbrechens im 20. Jahrhundert weitere Völkermorde zu vermeiden, ist ein wesentliches Anliegen von Frau Hofmann. Als Mitbegründerin und Vorsitzende der vor 10 Jahren ins Leben gerufenen Arbeitsgruppe "Anerkennung – Gegen Genozid für internationale Völkerverständigung" hat Frau Hofmann dazu beigetragen, dass in der Bundesrepublik Deutschland und auch international der Völkermord an den osmanischen Christen im Zeitraum 1912 bis 1922 in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt wurde.", sagte Dick. Sie hob hervor, welchen Meilenstein die Wissenschaftlerin durch ihr Engagement und ihre Veröffentlichungen für die Anerkennung des Völkermords an den Armeniern, Assyrern und Pontosgriechen letztendlich gelegt hat, bevor sie das Wort an Dr. Hofmann übergab. Die Dokumentarin gab im Rahmen ihrer kurzen Rede noch einen Einblick in die Historie von 1913 bis ins Jahr 1922. Bevor Dr. Hofmann den Preis für ihren unermüdlichen Einsatz in der Menschenrechtsarbeit entgegennahm, zitierte sie noch den CDU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Sehrt aus Braunschweig anlässlich eines Kreuzsteins, der zum Gedenken an den Völkermord gesetzt werden sollte, aber nicht genehmigt wurde. So soll sich Sehrt geäußert haben: "… In einer Kommune kann es nicht in Ordnung sein, dass man hier ein Zeichen setzt, das andere provoziert." Was dies für das Christentum auch hier in Deutschland bedeutet, mag mit solch einer Äußerung dahingestellt bleiben.

Im Anschluss an die Ehrung stellten sich die Referenten noch den Fragen des Kirchenrats Thomas Prieto-Paral als Moderator der Podiumsdiskussion "Mit einer Stimme sprechen!"

Wie wichtig es letztendlich ist, als Gemeinschaft der Christen das Recht auf Anerkennung des Völkermordes zu fordern, war in dieser Veranstaltung deutlich zu spüren. Es bleibt aber zu hoffen, dass es doch eines Tages zu einer vollkommenen Anerkennung des Genozids an den christlichen Völkern des ehemaligen Osmanischen Reiches kommen wird.

Von Marianne Brückl

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